Das Rioja – eine traditionelle Weinregion mit strahlender Zukunft
von Bettina Maas, 03/24, Lesezeit: 7 Minuten
Rioja Tal – 100 km gefüllt mit Diversität
Das Rioja-Gebiet, zu einem Drittel baskisch und umgeben von Gebirgsketten, ist ein Tal im Norden Spaniens. Wer Wein gern trinkt, wen die Wanderlust packt, wer kulinarische Höhepunkte sucht oder in herausragende Weine investieren möchte, der sollte sich mit dem Rioja beschäftigen, denn es lohnt sich ein detailliertes Hinschauen oder gar ein ausgiebiger Besuch in diese besondere Weinregion.
Stadt Laguardia mit Blick auf die Sierra de Cantabria Gebirge.
Geographische und klimatische Besonderheiten
Das Riojagebiet, welches in die drei Unterregionen Rioja Alavesa, Rioja Alta und Rioja Oriental unterteilt wird, erstreckt sich über gute 100 km vom östlichen Atlantik bis hin zum westlichen, mediterranen Inland. Die umarmenden Gebirge, wie beispielsweise die Sierra de la Cantabria im Norden oder die Sierra de la Demanda im Süden, sorgen mitunter für Höhenlagen von bis zu 800 m über dem Meeresspiegel, die zum Erklimmen einladen und den dort heranwachsenden Trauben einen hervorragenden Lebensraum bieten.
Der kühlende Wind, genannt Cierzo, sorgt für die Verteilung der feuchten Luft, die über die Gipfel schwappt.
Starker Wind und warmes Klima, heiße Tage und kühle Nächte – wer sich mit Wein auskennt, weiß, dass diese Faktoren höchste Qualitäten an Traubenmaterial versprechen.
Ein Genießer, der Riojawein verkostet, wird nicht enttäuscht. Die Region bietet alle Grundvoraussetzungen für eine exzellente Weinproduktion. Besucher dieser Region dürfen sich zudem freuen: Rioja bietet eine abwechslungsreiche Natur, wie die fruchtbaren Landstücke nahe dem Ebro und seiner Nebenflüsse, die sich über die gesamte Breite der Region erstrecken. Daneben weite Täler und steinige, bewaldete Anhöhen.
Wer sich das anschauen möchte, ist gut aufgehoben, sich den drei Weinrouten der drei Unterregionen zu widmen:
Der Wein – unerwartete Vielfalt in Stilistik und Rebsorten
Selbst fachkundige Sommeliers und geübte Weintrinker verbinden mit der Region Rioja gern pauschal eine Rebsorte und einen Stil: Tempranillo – jahrelang im Holz ausgebaut und gereift.
Doch da geht noch so viel mehr! Wer tiefer eintaucht, in das Rebsortenspektrum findet beispielsweise Graciano und Mazuelo – das "Bud-Spencer-und-Terence-Hill-Duo" des roten Rioja Weins: Der eine bietet Kraft, Tannine und ordentlich Wumms und der Andere bringt Witz, Raffinesse, Vielschichtigkeit und die notwendige Säure. Als Sparringspartner zum Tempranillo sorgen die beiden für eine Cuvee-Variante, die absolutes A-Liga Potenzial verspricht.
Auch die Garnacha Rebsorte, die viele aus Südfrankreich kennen, zeigt in der Region wahre Größe und so manch ein Winzer schafft reinsortige Vertreter der Spitzenklasse.
Verkostungstipp
Wer Lust auf einen eleganten, kühl-verspielten Vertreter vom Garnacha hat, der sollte jenen von der Finca Vista Hermosa verkosten. Das naturverbundene Weingut hat alte Reben in einer der höchsten Lagen auf 760 m ü.M.
Traditionshandwerk & Avantgarde des Riojas
Viele Weintrinker erfreuen sich daran, im Handel bereits jahrelang gereifte Weine aus dem Rioja zu erhalten. Ein Vergnügen, welches nur äußerst selten bei Weinen aus Frankreich, Österreich oder Deutschland eintritt. Hinzu kommt das spektakuläre Preis-Leistungs-Verhältnis, welches den stereotypisierten „deutschen Weintrinker“ frohlocken lässt. Wer sich durch die Premiumweine Riojas verkostet hat, der wird bereits ahnen, dass die internationalen Marktpreise durch ihre Unausgeglichenheit auffallen: Hochkarätige Spitzenweine aus dem Rioja kosten ein Drittel von dem, was ihre vergleichbaren europäischen Nachbarn aufrufen können.
Beobachtet man den französischen Weinmarkt unter Investitionsaspekten, liegt es auf der Hand, sich auch den Spanischen anzuschauen und seinen Weinkeller mit den „Underdogs“ der alten Weinländer zu füllen. Sie könnten schneller aufsteigen, als man ‚Bordeaux Subskription‘ sagen kann.
Das Barrio de la Estacion (dt.: das Bahnhofsviertel) ist ein Beispiel einer Winzergruppe in der historischen Weinhandelsstadt Haro im Rioja. Es besteht aus jenen alten Meistern, deren Erzeugnisse gerne das Dreifache vom Verkaufspreis verdienen.
In noch immer familiengeführten Weingütern zeigt sich ein jahrhundertealtes Traditionshandwerk, das einst von französischen Kellermeistern erlernt wurde, die vor der Reblaus auf der Flucht waren. Die Winzer pflegen ihre uralten Rebstöcke, ernten die Trauben von Hand und lassen sie jahrelang in eigens erbauten Fässern reifen. Anschließend lagern sie die Weine weitere Jahre in ihren unterirdischen Kellern, bis sie samtig und seidig, charakterstark und selbstbewusst dem Genießer zum Kauf angeboten werden.
An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass Rioja auch Europas größte Weinproduzenten beherbergt. Massenware wird hier nach wie vor produziert und global exportiert.
Reife versus Terroir
Traditionell werden die Weine, wie in ganz Spanien üblich, nach ihrem Reifegrad betitelt. Die Weine erhalten neben ihrem Namen Bezeichnungen wie Crianza, Reserva oder Gran Reserva. Sie erzählen, in welchen Gebinden und wie lange die weißen, roten und roséfarbenen Weine sowie Schaumweine der Region reifen durften.
Eine neue Generation an Winzern, Weinproduzenten und stolzen Weinbauern konzentriert sich nun auch vermehrt auf die Herkunft: den Weinberg, die alten Rebsorten, die einzigartigen Kompositionen aus Bodenbeschaffenheit, Klima und Sonnenausrichtung – das Terroir.
Viele kennen das Prinzip bereits von der Mosel (Stichwort: Piesporter Goldtröpfchen) oder aus dem Burgund. Ganz besondere Lagen vermögen dem Wein, abgesehen seiner Weiterverarbeitung, einen eigenen Charakter verleihen und ganze Fangemeinden generieren.
Im Rioja bekommen diese Weine dann den Zusatz: Viñedo Singular (dt. Einzellage).
Der Vielfältigkeit der Region sei Dank, gibt es im Rioja bis zu 200 Jahre alte Weingärten. Unbeschadet von jedweder Reblaus, mit roten und weißen Rebsorten durchmischt, erhält man mitunter also einen ‚Gemischten Satz‘, der Geschichten zu erzählen vermag. Gleichzeitig bedient sich die junge Avantgarde auch der Tradition, sprich dem Ausbau im Holz. Ohne sich dabei auf die Holzaromen zu konzentrieren, sondern um ihre Erzeugnisse mit jahrzehntelanger Lagerfähigkeit auszustatten.
Verkostungstipp
Wer wissen möchte, wo die Reise bei solch einem Ansatz hingehen kann, der sollte einen der Viñedos Singulares der Bodegas Altún verkosten. Beispielsweise ihr Wein „Everest“ aus Trauben eines reinsortigen Tempranillo Weingartens, der 1965 an einem steil gelegenen Teil des Flussbettes vom Ebro gepflanzt wurde. Der kalk- und lehmhaltige Boden sorgt für einen dichten und gleichzeitig stimulierenden Wein, voll Größe, Komplexität und einer leisen Ahnung über weitere Potenzialentfaltung mit längerer Reife. Einfach bemerkenswert.
Diese neue Generation setzt sich insbesondere für achtsame, Chemikalien-befreite Weinbergarbeit ein. Biologische Weinbereitung steckt im Rioja, in ganz Spanien, noch in den Kinderschuhen, aber einige Weingüter sind bereits überzeugt davon, dass ein lebendiger, gesunder Boden die einzig sinnvolle Grundlage für eine nachhaltige Bewirtschaftung und herausragende Grundprodukte ist.
Ein biologisch bewirtschafteter Weingarten kann vor Austrocknung und Verödung der Böden schützen.
Kulturelles Erbe, Kulinarik, Kunst & Kreativität
Abschließend ein Wort über die Menschen, die dort leben, die jene fabelhaften Weine erzeugen, die Besucher empfangen und die Zukunft der Region gestalten.
Wie überall auf der Welt, so vereinen sich auch im Riojatal verschiedenste Kulturgruppen: Seien es die Spanier aus Navarra und dem Inland, die bereits seit Jahrhunderten dort Wein kultivieren oder Hinzugereiste und Glücksuchende bis zu wohlhabenden, baskischen Kaufleuten, die vom Meer über das Gebirge kamen und gemeinsam mit den Weinbauern und dem Fachwissen der Franzosen lernten, wie man den Wein haltbar macht, um eine Region zu formen, die inzwischen globalen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Die Riojaner lernen aus der Vergangenheit und probieren dem altbekannten Massentourismus aus den 60er-80er Jahren ein behutsames, nachhaltiges Alternativmodell zu präsentieren. Geprägt durch wettbewerbsfähige kulinarische Pilgerorte, naturbezogene Aktivitätsangebote und internationale Kunst. Man kann sich wahrlich austoben in den 100 km des Riojatals. Nirgends sonst findet man eine gleiche Dichte an Weingütern, deren Gebäude & Weinkeller von internationalen Star-Architekten und Designern errichtet und ausgestattet wurden.
Getragen wird dieses kulturelle Erlebnis jedoch durch diejenigen, die das Rioja ihre Heimat nennen und ebendiese Heimat ihren Besuchern auf Augenhöhe, mit viel Respekt, Leidenschaft und Freundlichkeit erklären.
In diesem Sinne: Bien viaje amigos y salud a todos!
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Über Bettina Maas
Bettina Maas, M. Sc. und Sommelière, ist Akademieleiterin der Deutschen Hotelakademie. Im Winter 2023 besuchte sie das Rioja im Rahmen einer Studienreise und entwickelte eine tiefe Faszination für die Geschichte und Weinkultur des Tals. Als Weinprofi teilt Bettina ihr Wissen und ihre Leidenschaft gerne mit anderen Weinliebhabern, um auch sie für die einzigartigen Qualitäten der Wein-Welt zu begeistern.